14. Oktober 2021

Take me to church – Glaube ist nicht nur konservativ

Text: Amelia Schneider

Würde man auf einer Landkarte von Europa jedes Land grün anmalen, in denen Menschen unabhängig ihres Geschlechtes wählen dürfen, und jedes Land rot anmalen, in denen nur Männer wählen dürfen, dann bliebe trotzdem ein Land rot. Der Staat Vatikanstadt. Und mit ihm die ganze katholische Kirche, die patriarchaler ist, als ein ganzer Kontinent zusammen.

In diesem rot-angemalten Haufen Männer sitzt dann aber mein 9-jähriges Ich, das wenn sie groß ist, unbedingt katholische Pfarrerin werden will. Heute bin ich mit meinen 1,60 Meter immer noch nicht groß, werde es aber auch nicht mehr – genauso wenig wie katholische Pfarrerin. Ich könnte nichtmal mehr sagen, ob ich noch katholisch bin, obwohl mir der Glauben mal so viel gegeben hat.

Aber wie soll mir eine Institution etwas geben, die Frauen strukturell von Machtpositionen ausschließt? Ich muss nichts machen, außer mit einer Vulva geboren zu sein, um in dieser Institution weniger wert zu sein, obwohl Gott doch eigentlich alle Menschen gleich liebe. Dazu kommen aber noch meine Wünsche nach ziemlich normalen Dingen, wie dem Selbstbestimmungsgesetz, dem Recht auf Verhütung, Abtreibung. Und mein Queersein. Alles Themen, die die katholische Kirche ablehnt bis verteufelt.

Kurzum: Ich fühle mich von der katholischen Kirche nicht repräsentiert, angenommen und wertgeschätzt.

Dabei habe ich von dieser Kirche als Kind gelernt, dass alle Menschen genauso richtig sind, wie sie sind, dass wir aus Nächstenliebe handeln sollen und dass der Glaube immer ein offener Ort für alle sei. Doch als ich älter wurde, löste sich dieses Ideal für mich immer und immer mehr in Luft auf.

Weil ich unsicher war, suchte ich einmal das Gespräch mit meinem Pfarrer und bekam zu hören, dass Homosexualität irgendwas zwischen Verwirrung und Sünde ist und Frauen einfach nicht dafür gemacht sind, Pfarrerinnen zu sein. Nichts was sich nach Nächstenliebe, geschweige denn einem Safe Space für queere, weibliche Jugendliche anhört.

Dabei hätte die Kirche so viel Potential dazu, Jugendlichen einen Raum zum Entdecken, Sinn stiften und Zeit verbringen zu geben. Viele Themen davon sind kirchenintern zu klären und damit eher weniger etwas für diesen Artikel, aber ich möchte für die Kirche und alle drumherum eine Sache loswerden: Glaube ist nicht, was du denkst. Mit der Bibel ist das wie mit vielen Dingen des Lebens: Alle interpretieren sie anders und können trotzdem Verbundenheit und Sicherheit aus ihr ziehen. Deswegen sollte die Kirche offen sein für alle, die etwas aus dem Glauben ziehen. Und gleichzeitig ist Kirche nicht gleichzusetzen mit Glaube, denn die Institution Kirche tut einige Dinge, die mit dem Glauben der meisten nicht vereinbar sind.

Aber nachdem ich einen Großteil meiner Kindheit dort verbracht habe, hätte ich gerne wieder das Gefühl, mit allem was ich bin zu einer Gemeinschaft dazuzugehören. Ich hoffe, dass christliche Jugendliche, die das hier gerade lesen, merken, dass es normal ist, mit seinem Glauben zu strugglen und dass sie irgendwo zwischen Christentum und Mehrheitsgesellschaft schon ihren Platz und ihren Glauben finden werden. Denn dieses Gefühl, irgendwo hinzugehören und Kraft aus diesem Ort zu schöpfen, gönne ich jedem jugendlichen Menschen und ich hoffe, dass die katholische Kirche wieder mehr und mehr ein offener und liebender Ort dafür wird.

Falls dich das Thema „Junge Frauen in der katholischen Kirche“ interessiert und du tiefer ins Thema einsteigen willst, findest du spannende Reportagen von follow me.reports dazu auf YouTube und in dieser Podcastfolge von Deutschland3000, in der Carolin Kebekus über ihre Probleme mit der Institution Kirche redet. Außerdem sprechen wir darüber auch in der neuen Folge von Flokati Beach.

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