Medizinfreak, Teilzeitrolliraserin und Bloggerin — das ist Wheelie! Marlon aus unserem U21-Redaktionsteam unterhielt sich mit der 16-Jährigen über das Bloggen und über nervige Vorurteile.
Marlon: Welche Vorurteile begegnen dir am häufigsten und wie gehst du damit um?
Wheelie: Mir begegnen am häufigsten Vorurteile in Bezug auf unsere Träume und auch – man mag es kaum glauben – in Bezug auf unsere Bildung. Für viele Menschen sind Leute mit Handicap dumm. Man muss über die dummen Vorurteile dieser Menschen teilweise hinwegsehen, aber auch gleichzeitig aktiv werden.
Marlon: Dem kann ich mir nur anschließen…ich habe auch schon festgestellt, dass viele Menschen die Tatsache, dass man im Rollstuhl sitzt, überhöhen. Viele Leute glauben, man würde unendlich leiden, kein schönes und gewöhnliches Leben führen. Wenn Menschen, die diese Art von Vorurteil haben, mit der tatsächlichen Lebensrealität behinderter Menschen konfrontiert werden, vermuten sie, man hätte irgendwelche übermenschlichen Fähigkeiten und es wäre eine krasse „Leistung“ einfach nur sein Ding zu machen. Oder halt auch diese kleinen, alltäglichen Unterschiede, die ich sehe, wenn ich nicht zu Fuß, sondern fahrend unterwegs bin. Einige Menschen verhalten sich anders wenn ich vor ihnen sitze. Zum Beispiel werden häufig andere angeschaut obwohl ich gerade spreche. Leute, mit denen ich unterwegs bin werden angesprochen, wenn es eigentlich um mich geht oder auch, wenn mir jemand in unpassenden Situationen „helfen“ will. Fragen ist ok und nett, aber manche Menschen verhalten sich aufdringlich, das ist dann sehr unangenehm. Es gibt sehr viel Unsicherheit bei manchen Menschen in Bezug auf das Thema Rollstuhl.
Wheelie: Was kann man dagegen unternehmen?
Marlon: Als Person, die eine sichtbare Behinderung hat, sollte man das in der Situation offensiv ansprechen. Das ist leichter gesagt als getan. Aber ich finde, der Mut lohnt sich. Man sollte verständnisvoll sein, auch, wenn man vielleicht sehr genervt ist. Aber das Statement an sich finde ich einfach wichtig. Was denkst du?
Wheelie: Ja, ich denke genauso. Aber auch das Internet kann als Plattform gegen Vorurteile genutzt werden. Netzaktivismus hat in der heutigen Zeit eine ziemlich große Bedeutung: man kann seine Stimme öffentlich erheben, nachhaltig gegen Vorurteile, Ableismus, also Behindertenfeindlichkeit, und ähnlichem vorgehen. Wann hast du überhaupt damit angefangen, das Netz als Plattform zu nutzen?
Marlon: Vor fünf Jahren, 2012. Da war ich mitten in der Phase, in der meine Mutter mich von einer Krankenhaussonderschule gerettet hat. Wäre ich dort geblieben, müsste ich jetzt das Abi auf dem zweiten Bildungsweg machen. Ich war zu dem Zeitpunkt Stammgast im Krankenhaus und musste routinemäßig für einen kleinen Eingriff jeden Monat aufs Neue in den OP, deswegen auch mein Blogname. Ich habe von verschiedenen Seiten mitbekommen, dass viele Menschen falsche Vorstellungen von der Situation haben oder mir gegenüber sehr viel Mitleid äußern. Dabei empfand ich das alles als gar nicht so schlimm, war mir aber bewusst darüber, dass sich andere Menschen meine Situation nicht vorstellen können. Schließlich haben sehr viele Leute große Angst vor Narkosen, Krankenhaus und Krankheiten allgemein.
Wheelie: Ich begann im Jahr 2015 das Internet als mein Sprachrohr und mein Ventil zu nutzen. Ich begann mit meiner Facebook-Seite: ich hatte panische Angst vor einer OP, musste mir Luft machen und habe nach Menschen gesucht, die ähnliche Probleme haben. Während dieser Zeit stieß ich aber auch nach und nach auf Aktivisten, die sich für die Rechte von Menschen mit Handicap eingesetzt haben. Aber dachte ich da noch nicht daran, mich mit dem Thema an sich wirklich zu befassen. Erst mit meinem Blog und dem intensiven Beobachten meines Umfeldes, befasste ich mich mehr mit Aktivismus und sah mich kurz darauf immer stärker mit Vorurteilen konfrontiert, weil ich mich immer weiter getraut habe, meinen Mund auf und meinen Standpunkt deutlich zu machen. Und meinen Traum von Abi und Medizinstudium stärker denn je zu verfolgen, nicht mehr alles hinzunehmen, sondern mich auch mal gegen etwas zu wehren und gegen Vorurteile aktiv anzukämpfen.
Marlon: Das mit dem „Mund aufmachen“ möchte ich auch nochmal aufgreifen. Ich finde, dass sich immer noch nur sehr wenige junge Menschen wirklich aktiv in Themen und Diskussionen einbringen. Oft ist es so, dass nichtbehinderte, sogenannte „Expert*innen“ über die Lebensrealitäten behinderter Personen sprechen. Im Prinzip spricht nichts dagegen, aber die Stimmen von behinderten Menschen werden meiner Meinung nach kaum gehört und gehen unter. Ich erinnere mich noch an die Proteste zu diesem unmöglichen Bundesteilhabegesetz. Das wurde von nichtbehinderten Politiker*innen erstellt, die auf Sparmaßnahmen fixiert sind und geht an den Lebensrealitäten vieler Menschen komplett vorbei. Darum: macht den Mund auf und sagt eure Meinungen! Seid kontrovers, laut und traut euch einfach!
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